Grüß Gott

Also die Zeiten, dass Mädchen einen Knicks und
Buben eine tiefe Verbeugung machen mussten, sind vorbei. Aber es
gibt natürlich
nicht wenige Menschen, welche die Zwanzig mehr oder weniger deutlich überschritten
haben und deshalb noch ein Lied davon singen können. Und dies
vielleicht nicht mit besonderer Begeisterung.

Einstige Buben, inzwischen
zum Manne gereift, erinnern sich bestimmt noch an die unterstützende
Hand von Mutter oder Vater, die dabei half, dass der Kopf so richtig
schön weit nach unten
ging bei der Begrüßung des Herrn Pfarrers oder einer
anderen honorigen Person. Aber auch für Mädchen war das
Begrüßungsritual keine reine Freude. Nicht nur dass
das Restrisiko bestand, bei dieser Leibesübung aus dem Gleichgewicht
zu geraten. Es gab ja schließlich auch immer Kinder von anderen
Eltern, die keinen Knicks machen mussten. Weshalb der eigene als
eher peinlich empfunden wurde.

Trotzdem denkt wohl mancher mit gewisser
Wehmut an diese Zeiten zurück. Denn aus diesen guten Sitten
von damals ist vor allem Coolness geworden. Jetzt stecken Hände
schon eher mal in den Hosentaschen oder sind damit beschäftigt
eine SMS zu verschicken. Ein eventuelles „Grüß Gott“ wird
vom Kaugummi verschluckt. Mit etwas Glück erhascht ein Erwachsener
gerade mal einen kurzen Blick.

Natürlich gibt es immer noch
Kinder, die den Nachbarn grüßen
oder andere Menschen, die ihnen bekannt sind. Oder zumindest innerhalb
der Familie einen guten Morgen wünschen. Aber diese Spezies
scheint langsam auszusterben. Und irgendwann wird wohl das letzte
Exemplar in einem Museum ausgestellt.

Doch Kinder spiegeln mit ihrem
Verhalten wieder, was Erwachsene vorleben oder ihnen anderweitig
gezeigt wird. Was natürlich
auch seine Gründe hat. Schließlich kannte früher
im Dorf jeder jeden. Mittlerweile, in Zeiten von Strukturwandel
und Flughafen-Boom, tauchen überall neue Gesichter auf. Und
so weiß man eben einfach nicht immer: Ist das jetzt jemand
aus dem Dorf, aus der Gemeinde, der da in der Bäckerei neben
mir steht?

Sie ist halt nicht mehr so überschaubar, unsere
Welt zwischen Moos und Endmoräne. Wer durch ein bekanntes
Bekleidungshaus in der Erdinger Innenstadt läuft und jeden
grüßt,
der ihm begegnet, könnte durchaus Befremden hervorrufen und
vielleicht sogar Besuch von freundlichen Männern in weißen
Kitteln provozieren. Und obwohl unsere Landeshauptstadt eine Metropole
der Bussi-Bussi-Gesellschaft ist: Das Münchener Oktoberfest
ist ebenfalls gänzlich ungeeignet, um die gute alte Sitte
des Grüßens wieder neu zu beleben.

Aber wenn man die
Kirche im Dorf und die begrüßenswerte
Schar überschaubar sein lässt, dann wäre es doch
eigentlich eine schöne Sache. Denn ein freundlicher Gruß,
der gehört zu diesen kleinen Dingen des täglichen Lebens,
die ausgesprochen preiswert sind und trotzdem Freude machen.

Vor
Jahren grüßte einmal ein Mann einen anderen, weil
er ihn mit einem Dritten verwechselt hatte. Seitdem kennen sie
sich, grüßen stets freundlich und verleihen so dem Alltagsgrau
ein bisschen Farbe. Gute Sitten können durchaus gute Seiten
haben, auch wenn sie aus dem vorigen Jahrhundert stammen.
pebe