Geordnetes Chaos

Neulich hat sich sogar der Chefredakteur eines Life–Style-Magazins
diesbezüglich geoutet. Wenn ich ins Zimmer meines Sohnes blicke,
so schrieb er im Editorial, erkenne ich mich selbst wieder.

Damit hat er ein Thema fest und genau umrissen, das uns fast alle,
also mindestens Eltern und ihre Kinder, zumeist mehr beschäftigt
als uns lieb ist. „Räum‘ endlich dein Zimmer auf!“,
schallt es täglich durch Häuser und Mietwohnungen, und manchmal
wird hinzugesetzt: „Das schaut ja schlimmer aus als bei Hempels
unterm Sofa!“. Was etwas ungerecht ist, denn schließlich
weiß ja niemand so ganz genau, wie es bei diesen Hempels unterm
Sofa ausschaut, geschweige denn dass jemand weiß, wer das überhaupt
ist.

Aber eines ist sicher: Es gibt einen Interessenkonflikt. Während
Kinder am liebsten davon ausgehen, dass in einem Raum jeder Quadratzentimeter
sinnvoll genutzt werden sollte, tun Erwachsene so, als käme nach
einem bisschen Unordnung gleich die Anarchie. Und vergessen dabei, dass
sie als Kind auch die Klamotten einfach auf den Boden geschmissen haben.
Dass außerdem Bücher, Schulhefte oder Spielzeug gleichmäßig
Boden und dafür nicht gedachtes Mobiliar bedeckten.

Was Drehbuchautoren immer wieder zu herrlichen Szenen inspirierte.
Da möchte beispielsweise der spät heimkehrende und fürsorgliche
Vater noch einmal nach dem Rechten und dem Kind schauen. Natürlich
macht er nicht das Licht im Kinderzimmer an, um das Kind nicht zu wecken,
und prompt rutscht er auf einem strategisch günstig platzierten
Rollschuh aus. Nur wer sich bei dieser Gelegenheit selber schon einmal
das Steißbein ruiniert hat, kann darüber nicht lachen.

Sind wir Erwachsenen doch einmal ehrlich. Nicht nur, dass wir als Kinder
ebenfalls kleine Genies in Sachen Raumnutzung waren. Zwar wird jetzt
das Werkzeug in der Garage fein säuberlich und ordentlich in den
dafür vorgesehenen Vorrichtungen an der Wand und in den Werkzeugkästen
verstaut. Trotzdem muss die bedauernswerte Hausfrau jeden Morgen die
abgelegten Socken und Unterhosen auf dem Schlafzimmerboden zusammensuchen.
Und gibt es nicht Frauen, die ihre Küche tipp topp in Schuss halten,
aber täglich eine Dreiviertelstunde nach ihrem Autoschlüssel
oder sonstigen Utensilien in ihrer Handtasche suchen?

„Ordnung ist das halbe Leben“, sagt der Volksmund. Unerwähnt
bleibt dabei, dass die andere Hälfte oft aus dem blanken Chaos besteht.
Siehe Chefredakteur. Der Unterschied ist eigentlich nur, dass man als
Erwachsener die Erkenntnis gewonnen hat, dass man viel Zeit für
angenehme Dinge hätte, wenn man ordentlicher wäre und nicht
dauernd irgendetwas suchen müsste. Dass man unbedingt glaubt, Kinder
vor einem ähnlichen Schicksal wie dem eigenen bewahren zu müssen.

Und was sagen Sozialpädagogen dazu? Dass Kinder ein emotional
stabiles Umfeld bräuchten, um sich geborgen und sicher fühlen
zu können. Und dazu gehöre auch, sich an Regeln und Absprachen
in der Familie zu halten. Weshalb es natürlich auch ganz schlecht
sei, wenn sich beispielsweise Erwachsene nicht an diese Absprachen und
Regeln hielten. Also sollte vielleicht die Devise lauten: Gute Vorbilder
sind die beste Medizin im täglichen Kinderzimmer-Chaos! Aber wer
möchte schon gerne eine Medizin sein?

pebe