Eisige Zeiten

Ob es wohl jemand gibt, der schon Jahrzehnte verheiratet ist,
dabei das gemeinsame Schlafzimmer beibehalten hat und trotzdem
des morgens überrascht
ist, dass seine Frau neben ihm liegt? Auch wenn natürlich jede weitere
Parallele unangebracht wäre, genauso scheint es vielen Menschen
mit dem Winter zu ergehen.

Je nach Lebensalter weiß man eigentlich,
dass irgendwann nach Frühling
und Sommer, sofern dieser denn stattfindet, der Winter kommt.
Aber jedes Jahr auf‘s neue sind nicht wenige Menschen überrascht
davon. Zum Beispiel Autofahrer. Viele merken es erst, wenn sie
mit ihrem mit ABS, ESP, SMS und sonstigen „S“ ausgerüsteten
Fahrzeug an eine Steigung mit beachtlichen zwei Grad gelangen. Und
die Antriebsräder
durchdrehen. Während hinter ihnen andere Autofahrer in anderen
Fahrzeugen in einer langen Schlange fasziniert das Geschehen verfolgen
und überlegen,
ob sie nicht vielleicht doch Winterreifen montieren lassen sollen.

Und
um uns nicht Einseitigkeit vorwerfen zu lassen: Es ist natürlich
geschlechterübergreifend. Wie viele Frauen stellen ganz überrascht
– und manche schon auf einem ihrer edleren Körperteile sitzend
– fest, dass diese Witterung für hohe Absätze einfach nicht
geeignet ist.

Da lobe ich mir doch unsere Jugend. Egal ob männlich
oder weiblich oder sonst wie: Die ist wenigstens in großen Teilen
konsequent. Die einen verzichten nicht um alles in der Welt,
einschließlich
mindestens einer Blasenentzündung, auf nabelfreie Tops. Während
die anderen höchst ungern von ihrem Lieblings-T-Shirt ablassen,
das sie sich im Sommer auf Mallorca gekauft haben. Der Spruch,
der draufsteht, ist einfach zu cool, und damit ihn auch jeder
sieht, muss natürlich
die Jacke offen getragen werden.

Und dann gibt es noch die Spezies
der Hausbesitzer, die zwar auch schon Jahrzehnte in ihrem Haus
wohnen. Aber dann ganz überrascht
feststellen, dass man im Winter vielleicht heizen muss. Was bei
Heizöl-Lieferanten
zu freudig glänzenden Augen führt und bei den späten
Bestellern regelmäßig zu Hasstiraden – auf die Mineralölkonzerne,
die Regierung, die Globalisierung oder auf den Chinesen, weil
der jetzt so viel Öl braucht und deshalb die Preise so steigen.

Womit
man sich bereits einer Erklärung für dieses Phänomen
nähert. Der Mensch bekämpft ganz offensichtlich sein Unbehagen
immer wieder mit Verdrängung. Weil er den Winter nicht mag, tut
er halt erst einmal so, als würde es ihn gar nicht geben. Fährt
also mit seinen Sommer-Slicks fröhlich dem Schnee entgegen und
manchmal auch ins Verderben. Riskiert lieber einen Beinbruch
bevor er – respektive sie – ein Schuhwerk anzieht, das vielleicht keinen
ganz so schlanken Fuß macht, aber dafür rutschfest ist.
Erduldet triefende Nasen, Husten oder vielleicht sogar eine Lungenentzündung,
um nicht auf modische Attribute verzichten zu müssen.

Allerdings
bringt einen diese Verdrängungstheorie dann auch bezogen
auf die eingangs gestellte Frage ganz schön ins grübeln.
Vielleicht ist das ja mit dem Schlafzimmer am Morgen das gleiche wie
beim Winter. Und ist auch dort ein häufiges Phänomen.   pebe