Natürlich war das wieder so ein alter Grieche, der es auf den Punkt gebracht hat: Alles fließt, hat er behauptet. Was auf Griechisch zugegebenermaßen eindrucksvoller klingt, sich allerdings auf Anhieb dann noch weniger erschließt.
Aber spätestens wenn man von einem Flussufer aus längere Zeit auf das Wasser starrt, versteht man, was er damit meinte. Auch wenn es manchmal so aussieht, als würde es immer gleich aussehen, es ist nie das gleiche Wasser, das da vorbeifließt. Noch nicht einmal ein einzelner Tropfen, der da zum zweiten Mal vorbeikommt.
Also wäre wahrscheinlich früher oder später auch ein Nicht-Grieche darauf gekommen, weil es außerdem ein Bestandteil unseres Lebens ist, der uns spätestens an einem Tag wie dem 1. Januar zum Beispiel schmerzlich vor Augen geführt wird. Denn wenn an Neujahr der Kopf dann aus seinem Halb-Koma erwacht ist und sich Katerstimmung bleiern über das Gehirn legt, wird überdeutlich, dass dieses Silvester zwar wie im vergangenen Jahr in einem veritablen Schwips endete, dessen Folgen aber nicht mehr nur annähernd vergleichbar sind mit denen des Vorjahres.
Oder wenn man zum Beispiel mitten unter dem Jahr den Fehler macht, sich eingehend in einem Spiegel und möglichst auch noch bei Neonbeleuchtung zu betrachten. Also wer nicht gerade eine Schönheitsoperation am Bodensee hinter sich hat, wird zweifelsohne eine Veränderung feststellen, die nicht gerade zum Besten ist. Was übrigens auch jemand passieren kann, der frisch operiert ist. Und dazu am Bodensee war.
Und sind wir doch einmal ehrlich. Es wäre doch stinklangweilig, wenn alles stets so bliebe, wie es ist. Natürlich gibt es diese Momente im Leben, in denen man sich so wohl fühlt, dass man sich wünscht, es möge immer so bleiben. Zum Beispiel der Montag, als die Gehaltserhöhung mit der Post kam. Oder die erste Fahrt mit dem ersten eigenen Auto. Der erste Kuss. Oder der zweite.
Aber das war wohl sogar diesem Griechen namens Heraklit schon klar: Dazu ist der Mensch gänzlich ungeeignet. Glück erträgt er zumeist und auf Dauer noch weniger als das Unglück. Also warum es dann nicht gleich wie die alten Römer machen. Die haben gesagt: Varietas delectat. Was erstens auch nicht schlecht klingt, und zweitens nichts anderes bedeutet, als dass man sich hin und wieder eine kleine Abwechslung gönnen sollte.
Was ausgesprochen Sinn macht, wenn sich sowieso schon alles verändert. Denn schließlich geht es ja nicht nur um die fließenden Elemente in unserem kleinen Mikrokosmos. Um uns herum fließt es ja wirklich auch nicht schlecht. Stichworte: Internet und Handy. Globalisierung und Atomausstieg. Neuer Papst und Alterspyramide. Oder Große Koalition. Da geht es doch gewaltig den Bach runter. Also im übertragenen Sinne natürlich. Sozusagen bezogen auf die Fließgeschwindigkeit.
Oder wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass er ein Smartphone braucht, wenn er mal mit seinen Kindern kommunizieren will. Ob der Grieche damals schon an diese fließende Bewegung gedacht hat, die man mit dem Finger macht, wenn man über den Bildschirm des Smartphones streicht, um es zu aktivieren?
pebe