Es rankt sich ein Geheimnis um diesen jungen Mann. Er selber kann zur Aufklärung allerdings nicht mehr allzu viel beitragen, denn er ist seit geschätzten 1.500 Jahren oder schon länger tot. Seine letzte Ruhestätte hat er in der Kapelle des Wasserschlosses gefunden und – zumindest im übertragenen Sinne – auch in dem durchaus opulenten Bildband über das Wasserschloss, das der Heimat- und Verschönerungsverein Taufkirchen vor Jahresfrist herausgegeben hat.
Und so aufschlussreich der Band auch bezüglich der wechselhaften Geschichte des Wasserschlosses ist, auch den drei Autoren Bodo Gsedl, Josef Heilmaier und Hubert Kemper ist es nicht gelungen, das Geheimnis gänzlich zu lüften. Was man über ihn weiß, soweit es in dem Buch nachzulesen ist und auch von Gemeindearchivar Hans Jell bestätigt wird, ist folgendes: In der Kapelle des Wasserschlosses, unter dem Altartisch, ruhen die Gebeine eines Heiligen namens Victor, was bereits 1695 von dem Hofkupferstecher Michael Wening auf einer Druckplatte für Andachtsbilder festgehalten wurde.
Schlossherr Adam Puech war es gewesen, der im Jahr zuvor dem Kapuzinerprovinzial den Auftrag erteilt hatte, einen der sogenannten Katakombenheiligen von Rom nach Taufkirchen zu holen. Puech wollte damit der Schlosskapelle als Wallfahrtsort einen belebenden Anstoß geben.
Am 18. Mai 1695 wurden die Gebeine eines angeblich 13-jährigen Märtyrers, der auch noch aus römischem Adel stammen sollte, in die Kapelle verbracht, was der Örtlichkeit auch wirklich den erhofften Zulauf an Wallfahrern bescherte – und die Absatzzahlen für Bier der schlosseigenen Brauerei in die Höhe schnellen ließ. Was wieder einmal belegt, dass Religiosität nicht unbedingt wirtschaftlichen Erwägungen im Wege sein muss. Im Gegenteil.
Belegt wird dadurch allerdings auch, dass der Glaube mitunter ausschlaggebender ist, als es Fakten sein können. Denn schon ein erster Blick ins offizielle Verzeichnis aller Heiligen lässt den Wissensdurstigen ratlos zurück. Da gibt es nämlich nicht weniger als 16 heilige Victors, die „kleinen Sieger“ wie den Victorinus Secundus oder jenen von Assisi nicht mal mitgezählt.
Wer liegt also in dem prunkvollen Sarkophag in Gold und rotem Gewebe? Ist es vielleicht jener Victorius, den der karthagische Statthalter Solon im Jahr 260 nach Christi hinrichten ließ, weil er dem Glauben nicht abschwor? Zumindest war jener auch noch sehr jung. Eher unwahrscheinlich hingegen, dass der hiesige Hl. Victor mit jenem aus Agaunum identisch ist. Denn auch wenn es römisch klingt, der stammte aus dem schweizerischen Wallis und wird heute noch im Kanton Appenzell als Schutzheiliger verehrt.
Aber ist es überhaupt so wichtig, welcher Heilige es ist und ob er nicht vielleicht sogar ein Plagiat ist, weil es schließlich auch schon im Mittelalter Produktpiraten unter den Reliquienhändlern gab? Jedenfalls ist die Schlosskapelle einen Besuch wert, da sie nach langem Schattendasein in neuem Glanz erstrahlt. Eine gute Gelegenheit dazu gibt es übrigens am ersten Oktoberwochenende, wenn sich wieder einmal Kultur und Handwerk im Wasserschloss präsentieren. Auch wenn es keinen Freiherrn von Puech mehr gibt, vielleicht sorgt der Heilige Victor dann ja auch wieder mal für erhöhten Bierumsatz.
pebe