Vergangenheit und Zukunft

Bei den kleinen Dingen fängt es schon an. Früher konnte die Tochter die Mutter fragen, ob jetzt ein Ei oder zwei an den Teig müssen, damit der Osterfladen so gut schmeckt wie damals bei der Oma. Jetzt muss die Tochter im Internet nachschauen. Denn sie hat ganz einfach vergessen, sich das Rezept von der Oma aufzuschreiben. Fragen kann sie inzwischen aber weder die Mutter geschweige denn die Oma. Weil die Tochter nämlich auch bald Großmutter wird.

Wenn das vielleicht auch nicht das beste Beispiel ist, weil man sich so ein Rezept wohl noch am leichtesten merkt: Tatsache ist, dass wir Dank des Internets über eine schier unerschöpflich erscheinende Quelle an Informationen verfügen. Nur das, was es in unserem Umfeld an Wissen gab und gibt, in der Familie, im Verein, im Ort, verschwindet mehr und mehr in der Versenkung. Nicht zuletzt, weil die nachwachsende Smartphone-Generation davon ausgeht, dass ja sowieso alles im Internet steht.

Und, auch das sei nicht verschwiegen, weil sich bei einigen Themen insbesondere die Nachkriegsgeneration auch nicht gerade als besonders redselig erwiesen hat. Weshalb dann das meiste diesbezügliche Wissen aus Büchern stammt und nicht von denen, die dabei gewesen sind.

Leider musste ich feststellen, dass der Spruch „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ nicht von mir stammt, obwohl ich schon lange dieser Auffassung bin. Aber immerhin ist ja auch Wilhelm von Humboldt, der Gelehrte und preußische Diplomat, glaubwürdig. Also muss etwas dran sein an dem, was er und ich sagen. Und dabei sollte man eben nicht nur an das denken, was sowieso schon in Büchern steht. Denn das ist immer nur ein plakativer Ausschnitt. Wichtig ist auch das, was ein Onkel erlebt hat, die Großmutter. Oder was ein interessierter Mensch vielleicht an Informationen über seinen Lebensmittelpunkt und seine Umgebung zusammengetragen hat.

Da sollte man einmal zur Abwechslung nicht nach der Politik rufen, sondern ganz einfach die Möglichkeit andenken, dass sich doch vieles an Erinnerungen, Wissen und Erfahrungen von uns selber „archivieren“ lässt, von den Töchtern, Söhnen, Enkeln, Nachbarn und Mitbürgern. Wenn wir schon diese wunderbare Möglichkeit haben, tausende von beschriebenen Seiten auf zwei Kubikzentimetern (nennt sich USB-Stick) zu speichern, warum so nicht auch das bewahren, was Menschen in unserem Umfeld zu erzählen wissen.

Natürlich ist wichtig, was Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag gesagt hat. Aber einmal davon abgesehen, dass das in Büchern nachgelesen werden kann, es ist auch wichtig, wie und was die Menschen erlebt haben, die wir persönlich kennen, mit denen wir von Angesicht zu Angesicht reden können oder zumindest einmal konnten.

Und vor allem sollten wir daran denken, dass alles, was sie wussten, für immer verloren ist, wenn sie einmal nicht mehr sind. Und dabei geht es, wie gesagt, nicht nur um die großen Geschichten. Manchmal tut es auch schon gut zu sehen, wie jemand anderes in der Vergangenheit mit einer Situation umgegangen ist, um festzustellen, dass die Gegenwart vielleicht gar nicht so unerträglich ist, wie einem das vorkommen mag.

pebe