Die Gaben der Natur

Die Maisfelder versperren nicht mehr die Sicht, auch
die Erdreste aus den Reifen der Traktoren sind weitestgehend von
den Straßen
verschwunden. Nur dort, wo Obstbäume am Straßenrand
stehen, können platt gefahrene Früchte noch zu Beeinträchtigungen
führen. Das sind untrügliche Zeichen nicht nur für
den erfahrenen Autofahrer, dass es jetzt trotz teilweise noch
sommerlicher Temperaturen stark auf den Herbst zugeht und unsere
Landwirte die Ernte eingebracht haben.

Wer dann noch amerikanische
Freunde hat oder sonntags zur Kirche geht, dem ist durchaus geläufig,
dass „Thanksgiving“ vor
der Tür steht und das Erntedankfest natürlich auch. Für
die einen verbindet sich mit diesem Wissen vielleicht die Vorfreude
auf einen knusprigen Truthahn mit vegetarischen Beilagen, andere
denken an ein mit Früchten, Ähren und Blumen geschmücktes
Gotteshaus.

Aber wer empfindet noch, was einst Grund für
dieses Fest war? Wer zeigt noch, was ursprünglich mit diesem
Begriff verbunden war – nämlich Dankbarkeit? Dankbarkeit dafür,
dass die mühevolle Arbeit mit einer mehr oder minder guten
Ernte belohnt wurde. Dank zu sagen wem auch immer dafür, dass
das Überleben
zumindest für einige Zeit wieder gesichert war. Ja, wir sprechen
von Zeiten, die für uns schon verdammt lange her sind, und
von Begriffen, die heutzutage überhaupt nicht mehr aktuell
zu sein scheinen. Und es ist den Menschen unserer Gesellschaft
nicht einmal so sehr zu verdenken.

Was den Sommer über auf
den Feldern reifte, das verschwindet in den gefräßigen
Mäulern von riesigen Maschinen,
wird auf Anhänger verladen, weggefahren, in Silos gekippt
oder gleich zu mehr oder minder weit entfernten „Verarbeitungsstätten“ gebracht.

Nur
manchmal noch verweist ein handgeschriebenes Schild am Straßenrand
darauf, dass Feldfrüchte auch auf unserem Mittagstisch landen
könnten. „Kartoffel zu verkaufen“ steht da oft,
und wer auf sprachliche Korrektheit achtet, fragt sich, was er
mit einer einzigen Knolle anfangen soll.

Uns fehlt der Bezug zu
dem, was auf unserem Teller landet, insbesondere, wenn es aus der
Tiefkühltruhe oder der Mikrowelle kommt. Dass
es trotz maschineller Verarbeitung und fabrikmäßiger
Herstellung immer noch in erster Linie Naturprodukte sind, die
unseren Gaumen und dann hoffentlich auch den Magen erfreuen, das
vermitteln uns eigentlich erst Zeitungsmeldungen und Nachrichtensprecher,
wenn die Natur den Produktionsplan nicht eingehalten hat. Wenn
Dauerfrost in Italien den Salat und Gemüse teuerer werden
lässt. Wenn Bauernverbände wie in diesem Jahr Ernteeinbußen
wegen der anhaltenden und außergewöhnlich hohen sommerlichen
Temperaturen beklagen.

Und dass wir zum Erntedankfest nicht so richtig
wissen, weshalb und wem wir denn eigentlich dankbar sein sollen,
liegt auch daran,
dass wir trotz ungewöhnlicher Frostperioden oder Jahrhunderthitze
nicht auf irgend etwas verzichten geschweige denn hungern müssen.
Nur etwas mehr bezahlen halt.
Weil technisch so viel machbar geworden ist, glauben viele Menschen,
dass auch Natur „machbar“ sei. Doch diese zeigt immer
häufiger, dass sie sich nicht manipulieren lässt, dass
sie Missbrauch bestraft. Trotz genmanipulierter Weizensorten und
Gewächshäuser: Ohne Sonne, Regen und einen noch nicht
vergifteten Boden würden unsere Teller leer bleiben. So einfach
ist das. Also wenn das kein Grund ist, für eine gute Ernte
dankbar zu sein …       pebe