Ausgabe 11/2019| 28. November 2019
Adventskranz
Hat es das nicht schon immer gegeben? Also die Großmutter hat ihn ganz sicher schon gekannt. Beim Urgroßvater kann man sich schon nicht mehr so ganz sicher sein. Aber das liegt vor allem auch daran, dass der sich mehr für Dampfmaschinen interessiert hat.
Jetzt ist jedenfalls ihre Zeit wieder gekommen, fast überall finden sich Adventskränze. In den Wohnungen und Häusern auf Tisch oder Kommode. Oder sogar von der Decke herunter hängend, wie in Kaufhäusern, Gemeindezentren, Ämtern und natürlich Kirchen. Der Adventskranz gehört zur Vorweihnachtszeit wie die Weihnachtsplätzchen, Weihnachtslieder oder das Geschenke kaufen. Und in unseren Zeiten der damit verbundene Stress. Den der Urgroßvater allerdings wahrscheinlich noch ebenso wenig kannte wie den Adventskranz.
Denn überraschenderweise kam der eigentlich erst im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in viele deutsche Stuben. Um ganz genau zu sein, der allererste Adventskranz hing schon sehr viel früher in einem Heim für Kinder von der Decke. Er hatte auch nicht vier Kerzen für jeden Adventssonntag, sondern sogar 20 kleine und vier große Kerzen. Seine Herkunft ist bestens belegt, ihr wurde schließlich sogar eine wissenschaftliche Arbeit gewidmet.
Der deutsche Kulturwissenschaftler und Germanist Hermann Bausinger, bis 1992 Professor für Volkskunde in Tübingen, befasste sich nämlich ausführlich mit der Herkunft des Adventskranzes. Und kommt darin unter anderem – wie auch weitere Quellen – zu dem Ergebnis, dass es der Theologe und Sozialreformer der evangelischen Kirche, Johann Hinrich Wichern, war, der den Adventskranz „erfunden“ hat.
Der hatte nämlich 1833 in Hamburg das „Rauhe Haus“ gegründet, „zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“, mit einem für damalige Verhältnisse geradezu revolutionären pädagogischen Konzept. Diese Kinder wurden eher familiär und mit viel Zuwendung unterrichtet, um ihnen eine Zukunftsperspektive zu geben. Es gab eine Werkstatt, sie nahmen an Gottesdiensten teil, das Gebet gehörte zu ihrem Alltag.Dass dann im Jahr 1839 zum ersten Mal im Betsaal des “Rauhen Hauses“ ein Adventskranz von der Decke hing, soll allerdings zwei einleuchtende Gründe gehabt haben. Zum Einen, um für die Kinder ab dem ersten Advent die noch verbleibende Zeit bis zum Weihnachtsfest mit 20 kleinen und vier großen Kerzen nachvollziehbar und sichtbar zu machen. Aber auch, um auf diese Weise mit den Mädchen und Jungen anhand der bereits angezündeten und noch verbleibenden Kerzen das Rechnen zu üben.
Das klingt natürlich etwas prosaisch, hinderte allerdings nicht daran, dass in der Folgezeit nach der Verbreitung des Adventskranzes die Kinderaugen leuchteten, wenn die Kerzen auf dem zumeist aus Tannenzweigen geflochtenen Kranz angezündet wurden. Und auch wenn Kinder in eher katholischen Gegenden noch fast ein Jahrhundert warten mussten, bis auch dort Adventskränze die Zeit bis Weihnachten im wahrsten Sinne des Wortes erhellten, inzwischen gehört er zur Adventszeit wie Weihnachtsmärkte und Punsch.
Und es wäre eigentlich auf Grund seines Ursprungs ein Anstoß, sich auch ein bisschen mehr um Kinder zu kümmern. Und um diejenigen, denen sie anvertraut werden.
pebe