Von Lemmingen und anderen Völkerwanderungen

Nach neuesten Erkenntnissen tut man den Lemmingen
Unrecht, wenn man behauptet, sie würden auf ihren Wanderungen
einfach blindlings immer nur anderen Lemmingen hinterher und dann
mitunter
sogar ins Verderben laufen. Dass eine derartige Behauptung schon
eher für die Spezies Mensch zutrifft, das belegen besonders
die Wochen vor Weihnachten, wenn die mehr oder minder direkten
Abkömmlinge der prähistorischen Jäger und Sammler
in den Fußstapfen ihrer Vorfahren wandeln und jagen und
sammeln.

Allerdings nicht Mammut und Waldesfrüchte, sondern
Schnäppchen
und andere Weihnachtsgeschenke. Da setzt sich nämlich auf
dem mehr oder weniger flachen Land immer wieder ein oftmals nicht
enden wollender Zug in Bewegung. Das Ziel: Große Städte
mit großen Kaufhäusern oder riesige Kaufhäuser
in kleinen Gemeinden.

Das Resultat ist allerdings überall das
gleiche. Fluchende Männer mit hochroten Gesichtern auf der
Suche nach einem Parkplatz, für den sie auch wieder zum gar
nicht so guten alten Faustrecht zurückkehren würden.
Weinende Kinder am Ende ihrer Kräfte
oder sich verzweifelt gegen den Versuch wehrend, ihnen diesen herrlich
flauschigen Kuschelbär aus den Händen zu entwinden. Mütter
und bisher treu sorgende Ehegattinnen mit düsteren Gedanken
an Scheidung oder vielleicht sogar einen heimtückischen Mord,
wobei sich letzterer Gedanke auch schon mal auf die ganze Familie
beziehen kann.

Die etwas älteren Menschen unter uns erinnern
sich vielleicht noch an die Werbung mit dem HB-Männchen. In
Abwandlung des damals verwendeten Slogans könnte man sagen: ‘Wer
wird denn gleich in die Luft gehen. Kaufe doch lieber zu Hause
ein.‘ Schaut
man sich beispielsweise in der Vilsgemeinde um, fällt einem
nur noch wenig ein, was man gerne haben möchte und hier nicht
bekommt. Selbst wenn es inzwischen schon mal passieren kann, dass
man nicht direkt vor dem angepeilten Geschäft einen Parkplatz
findet, hier ist Einkaufen auf jeden Fall noch beschaulicher als
an einem Samstag Vormittag in Münchens Kaufinger Straße.

Hier
ist noch Gelegenheit, zwischendurch mal mit Bekannten zu ratschen.
Hier gibt es sogar noch Verkaufspersonal, das mit den Kunden spricht
und nicht nur gereizt reagiert, als habe man gerade etwas Unanständiges
gesagt, wenn man nach Kerzen mit Rosenduft fragt.

Und manche Erfahrung
hat schon gezeigt, dass der Spruch, man sei ja nicht blöd
und würde deshalb nur in einem ganz bestimmten
Markt kaufen, weil es nirgendwo billiger sei, auch nicht immer
stimmt. Dass man nicht Millionenbeträge für Werbespots
und Plakataktionen ausgeben muss, das kann sich ausgesprochen positiv
auf die Kalkulation niederschlagen.

Auch die Zeiten, dass heimische
Textil-Geschäfte nur Mode
von Anno Domini im Angebot haben, sind längst vorbei. Zugegeben,
wer nur Gucci und Versace in seinen Kleiderschrank lässt,
der muss nach wie vor in die Maximilianstraßen der Metropolen
dieser Welt zum Shoppen. Alle anderen können sich das sparen.
Und den Bluthochdruck auch. Selbst wenn man es kaum für möglich
hält: Auch Weihnachtseinkäufe können Freude machen.
Aber halt nur, wenn man nicht dahin rennt, wo alle anderen hinrennen.
pebe