Wachstum

Es kann einem schon wirklich das Herz erwärmen, wenn man zurzeit den Blick nach draußen richtet. In den Garten, aber vielleicht auch nur auf den Balkon. Oder bei einem Spaziergang über Feld und Flur die Natur genießt.

Nicht nur dass sich nach den tristen und grauen Wintermonaten nun eine prächtige und üppige Farbenvielfalt entwickelt hat. An jedem Grashalm, Strauch oder Baum ist abzulesen, dass wieder einmal und auf geradezu wundersame Weise alles wächst und gedeiht, was über Monate hinweg kaum zu existieren oder zumindest zu stagnieren schien.

Was zuvor nur ein mickriges kleines Hälmchen war, das hat auf einmal ein Mehrfaches der einstigen Größe erreicht. Sträucher, die unscheinbar und dünnastig am Wegesrand ihr Dasein fristeten, haben sich zu imposanten Gewächsen gemausert, die jetzt geradezu protzig in den Weg hinein- und den Passanten um einiges überragen. Es wächst und gedeiht, dass es nicht nur für passionierte Garten- und Naturliebhaber eine rechte Freude ist.

Aber hat schon einmal jemand gesehen, dass ein ordinärer Grashalm auf einmal drei Meter in die Höhe geschossen wäre? Oder dass ein Holunderbusch aufgrund grenzenlosen Wachstums angefangen hätte, die benachbarten Pappeln zu überragen? Vielleicht sogar eine Kiefer alle Kräfte mobilisiert hätte, um urplötzlich die zweihundert Meter Marke zu knacken? Auch wenn man später im Jahr beim Anblick mancher Maisfelder glauben könnte, dass dank neuester Dünge-Methoden auch in der Pflanzenwelt noch ein bisschen mehr möglich sei als bisher geglaubt, solche Auswüchse leistet sich die Natur, wo sie vom Menschen unbehelligt bleibt, nicht.

Warum aber glaubt dann ein nicht geringer Teil der Menschheit und insbesondere jene Spezies in den Führungsetagen von Industrie und Politik, dass Wachstum unbegrenzt sein müsse? Wo es doch sogar schlichten Gemütern möglich sein sollte, sich an die rasante Talfahrt der so genannten New Economy zu erinnern, als diese glaubte, dass es nach oben überhaupt keine Grenzen mehr gebe. Das ist noch nicht so lange her.

Doch selbst wer hoffte, dass der Ein- respektive Zusammenbruch der US-amerikanischen Immobilienmärkte wenigstens jetzt zum Umdenken animieren könnte, wurde enttäuscht. Es wird munter weiter gemacht. Die Großen möchten weiter größer werden. Und selbst die kleineren Großen glauben fest daran, dass sie sogar Milliarden-Kredite verkraften werden, wenn sie nur wieder größer geworden sind. Sportwagenbauer Porsche zum Beispiel kämpft deshalb jetzt mit neun Milliarden € Schulden und soll vor kurzem gerade noch die Insolvenz abgewendet haben. Es hat halt einfach so viel gekostet, einen Aktienanteil von 51 Prozent an VW zu bekommen.

Da schluckt die Telekom den Immobilienscout24; Holtzbrinck die Internet-Plattform studiVZ; und auch Springer kauft wacker Firmen aus dem Internet ein. Weil sie alle immer noch mehr Geschäfte machen und immer größer werden wollen. Und wenn die Gewinne trotzdem nicht mit wachsen, ist selbst morgens um sieben die Welt nicht mehr in Ordnung. Dann lieber noch eine Milliardenpleite hinlegen, der Staat wird’s ja wohl schon richten.

Das wäre ja vielleicht noch gut und schön, wenn nicht wir, die Bürger, der Staat wären – zumindest dann, wenn’s ums zahlen geht. Ach, wie ist die Natur doch so weise.

pebe