Von Freiluft-Radlern und königlichen Verordnungen
Mit dem Überschreiten der 20° Marke lebt in der Ortsmitte Taufkirchens nach langem Herbeisehnen wieder die Biergartenkultur auf. Und für nicht wenige wird die, mit großem Traditionsbewusstsein von Helmut und Franz Jell geführte, „Freiluftgastronomie“ zum gesellschaftlichen Mittelpunkt über die Sommermonate.
Nicht mehr viele Ortsansässige können davon erzählen, dass es in Taufkirchen einst vier Biergärten gleichzeitig gab, noch lange vor dem Brauereieigenen gegenüber dem Sudhaus. Auch der ehemalige Braumeister Theo Unterreitmeier weiß vieles darüber nur noch vom Hörensagen, so zum Beispiel, dass am heutigen Gelände der Metzgerei Liebl einst „unbandige Kastanien“ einen Biergarten beschatteten. Vom „Anderlwirt“ an der Landshuter Straße blieb kaum mehr als Erzählungen. Heute befinden sich dort ein Bestattungsunternehmen und ein Friseursalon. Und auch beim Wagnerwirt konnte man sich im Sommer bei einer kühlen Maß erfrischen. Der Biergarten der „Post“ lag vor vielen Jahren dort, wo heute hinter Eiscafé und Kinderarztpraxis Autos parken.
Über die Jahre wurden sie alle verkauft, geschlossen oder abgerissen – „es kam auch eine Zeit in der Biergärten nicht mehr angesagt waren“, erzählt Theo Unterreitmeier. Ihm ist es im wahrsten Sinn zuzuschreiben, dass heute in der Bräuhausstraße der Biergarten der Genossenschaftsbrauerei „blüht“. Erst wenige Jahre war er Braumeister in Taufkirchen, als im Raum stand,die der Genossenschaft gehörende Wiese zwischen Sudhaus und Sattlerhaus, unterhalb des Wagners zu verkaufen.
Genutzt wurde sie bis dahin alljährlich zum Adlberger-Markt, der auch noch Viehmarkt war, dort wurden die Tiere angebunden und angeboten. „Ganz Taufkirchen hat keinen Biergarten mehr und sowas gehört doch schließlich zu einer Brauerei“, war des Braumeisters überzeugendes Argument gegen den Verkauf und so beauftragte man 1979 die Baumschule Brenninger bei Hofstarring mit der Terrassierung der Wiese und dem Pflanzen der Kastanien. „Monatelang hab ich die Bäume eingegossen“, erzählt Unterreitmeier.
Bei der Eröffnung 1980 hatte das Gelände schon annähernd die heutige Gestalt, zwei Freisitze waren gezimmert und das Schankhäuschen errichtet. Von Anfang an war dieser Biergarten ein „richtiger
Biergarten“, betont Helmut Jell, der diesen seit 2008 betreibt und er liefert auch gleich die Kriterien dafür: „Entstanden sind sie über den Münchener Eiskellern, in denen das Märzen über den Sommer gelagert wurde. Kiesboden und Kastanien gehörten schon immer dazu. Sie dienten zur Beschattung und Kühlung da die Bierkeller, geschuldet durch einen hohen Grundwasserspiegel nicht sonderlich tief waren“.
Bald kamen erste Brauereien auf die Idee, ihr Bier dort auszuschenken, wo es im Schatten unter den Kastanien getrunken werden konnte. Die Wirte waren von dieser neuen Geschäftsidee vor 200 Jahren nicht sonderlich erfreut, wandten sich an König Maximilian I., der die Streitigkeiten per „Verordnung vom 04. Jänner 1812“ regelte.
Demnach durfte weiterhin Bier und Brotverkauft werden, „das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten“. Daraus entwickelten sich zwei weitere Kriterien für den „richtigen Biergarten“, die Selbstbedienung und das Brotzeitrecht, sprich, die Erlaubnis, mitgebrachte Speisen zu verzehren.
1999 wurde das in der Bayerischen Biergartenverordnung nochmals rechtlich bestätigt.
In Taufkirchen wird dieses Alleinstellungsmerkmal, außerhalb Bayerns fast ein Kuriosum, rege und von den unterschiedlichsten Gästen genutzt. „Mich freut es, wenn diese Tradition gelebt wird. Ob vom Stammgast, der zur Abwechslung etwas mitnimmt, was wir nicht anbieten, jemandem, der wegen seiner Essgewohnheiten vielleicht nichts in unserer Auswahl findet oder der fünfköpfigen Familie, die dann nur noch die Limo und Radlermaß dazukauft“. Besteck und Teller zur Metzger-Brotzeit oder zum selbstgemachten Nudelsalat stellt er gerne und umsonst bereit.
Auch sonst zeichnet sich der Taufkirchener Biergarten durch seinen offenen Charakter aus. Jeden Alters und aus allen Gesellschaftsschichten sind die Gäste, schon beim Mittagessen und erst recht am Feierabend in den Abendstunden. „Bei uns sitzt der Firmenchef im Anzug neben dem Arbeiter in Warnweste, Jugendliche neben Rentnern und „Zoagroaste“ neben Alteingesessenen. Das gibt es sonst nirgends“, kann Helmut Jell zurecht behaupten. „Hier schwänzelt kein Servicepersonal um einen rum und man wird grundsätzlich geduzt. Das gefällt unseren Gästen“, erzählt er. Als unhöflich empfindet das niemand, schließlich machen Gelassenheit, Freundlichkeit und Gemütlichkeit einen Biergarten erst zu einem „richtigen Biergarten“. Das sind keine königlichen Gesetze, man könnte sie allerdings als Werte bezeichnen. _Fabian Holzner
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Biergarten Taufkirchen (Vils) Öffnungszeiten täglich bei Biergarten-Wetter |