Ich weiß nicht, wie oft ich diese Bilder aus
New York und Washington gesehen habe. Ich weiß nicht, wie
viel Telefonate ich geführt habe, um sicherzugehen, dass andere
dasselbe gesehen hatten. Etwas in mir sträubt sich bis zum
heutigen Tag gegen das Geschehene, will und kann es nicht fassen,
und schon gar nicht in Worte.
Diese Welt, soviel ist für mich sicher, wird mit
diesem 11. September nicht mehr dieselbe sein; sie wird sich verändern,
und diese Veränderungen werden auch wir spüren, viele
tausend Kilometer von diesem Tod unschuldigster Menschen entfernt.
Wir spüren mehr als jemals zuvor, wie eng wir miteinander verbunden
sind auf diesem Planeten, weit mehr als nur wirtschaftlich. Das
ist gut und schlecht, erschreckend und beruhigend zugleich: So weit
weg von den Ereignissen nehmen wir doch Anteil, fühlen, trauern
und sind zutiefst bewegt.
Wenn wir dies nach außen zeigen, wird es die
betroffenen Menschen durch die Medien erreichen, und es wird vielleicht
ein bisschen lindern. Es schließt die Möglichkeit ein,
zusammenzustehen, einander zu helfen und auf diese Trümmerlandschaft
des Hasses den Samen unspektakulärer Liebe zu Menschen aller
Nationalitäten und jeder Hautfarbe zu werfen.
Die zivilisierte Welt hat eine schreckliche Prüfung
zu bestehen: Eine große, aber unendlich mühselig zu verwirklichende
Chance, die Welt zum Besseren, oder die grauenvolle Aussicht, sie
zum Schlechteren zu wenden.
Schon am Tag danach, als in allen Ländern der
westlichen Welt Zusammenkünfte stattfanden, sah ich ein großes
Transparent mit der Aufschrift: Keine Rache, bitte. Wer Hass sät,
wird Hass ernten, und wie unglaublich müssen die Verantwortlichen
dieser Anschläge hassen! Unvorstellbare Aggression, kalter,
radikal konsequenter Wille und eine furchterregende Intelligenz
hatten die Täter offenbart – aber auch ihre Geschichte hat
irgendwann, irgendwo mit dem Ende der Liebe begonnen und geendet
in einem Zustand, den man kaum noch als menschlich bezeichnen kann.
Dass die Täter gefunden und bestraft werden müssen,
steht außer Zweifel. Doch auch Selbstkritik an unserem westlichen
System ist angebracht: Einerseits ein Geschäft mit den Kriegen
auf dieser Welt zu machen und andererseits zu glauben, dass sich
der so weltweit unterstützte Hass nicht auch gegen die eigene
Bevölkerung richten kann.
Die Welt als globales Dorf, in dem es nicht mehr um
Nationalitäten, Hautfarben, politische Systeme oder Glaubensfragen
geht, ist eine wirtschaftlich geprägte Wunschvorstellung, die
noch längst nicht Realität ist. In einem Dorf kennt jeder
jeden. Kennen wir unsere Nachbarn?
Colin Powell, Außenminister der USA, hat von
einem Angriff auf das Prinzip der Freiheit gesprochen. Das ist,
mit Verlaub, fast eine Verniedlichung. Es ist vielmehr ein Angriff
auf das Leben selbst. Und nur wer das begreift, wird vielleicht
die oben genannte Chance nutzen können. Es geht um Alles oder
Nichts: Gut oder Böse, Frieden oder Krieg, Liebe oder Hass.
Welche Welt wollen wir?
Unsere Handlungen entscheiden darüber. Gebe Gott,
die Mächtigen dieser Welt mögen richtig entscheiden …
(jh)