Weinlese

Handelskriege und militärische Auseinandersetzungen. Schlechte Zeiten für den Euro und harter Brexit. Das Damoklesschwert einer erneuten Bankenkrise und unbezahlbare Mieten. Da braucht es noch nicht einmal Meldungen über Hurrikans, um zu merken, dass wir stürmische Zeiten haben.

Doch zwischen all den beängstigenden Nachrichten und neuesten Zahlen über zunehmenden CO2-Ausstoß hierzulande gibt es nun auch endlich mal wieder eine richtig gute Nachricht. Zumindest für einen Teil der Bevölkerung. Nämlich die Weintrinker. Die Winzer jedenfalls sind in diesem sommerlichen Herbst voll des Lobes. Sie erwarten nicht nur einen außergewöhnlich guten Jahrgang, sondern sprechen schon jetzt von einer ausgesprochen reichen Ernte.

Wovon auf anderen, ganz bestimmten Berufsfeldern nun derzeit und vor allem ganz aktuell ja nicht gerade die Rede sein kann. In der Berufssparte öffentliche Ämter möchte man beispielsweise aufgrund jüngster, geradezu bestürzender Zahlen dem einen oder anderen Beschäftigten eher einen Rat geben, wie er dereinst schon auf einer Schallplatte verewigt wurde.

Anfang der 1950er Jahre sang der ursprünglich durch Diplom zur Herstellung feiner Fleisch- und Wurstwaren befähigte Willy Schneider ja bekanntlich „Schütt‘ die Sorgen in ein Gläschen Wein“. Und empfahl, „das volle Glas in einem Zug“ zu leeren. Dass er in selbigem Lied auch noch dazu aufforderte, die Prozedur zu wiederholen, falls das Leid noch nicht gelindert sei, werden Gesundheitskassen zwar nicht so gerne hören. Wird aber trotzdem und insbesondere in schlechten Zeiten immer wieder praktiziert.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Auf meinem Schreibtisch steht ein Becher mit Rautenmuster und Kräutertee. Den Rat von Willy Schneider habe ich selbstverständlich nicht befolgt. Vielmehr habe ich mich schlau gemacht und mit einer gewissen Demut festgestellt, dass meine Kenntnisse bezüglich des Weinanbaus sehr marginal sind. So wusste ich zum Beispiel nicht, dass physikalische, chemische, mikrobiologische und organoleptische Analysen ein wichtiger Bestandteil der Önologie – auf Deutsch Kellerwirtschaft – sind, also zum Wissens- und Aufgabenbereich im Weinbau gehören.

Zumindest bei den organoleptischen Analysen, also der Prüfung von subjektiven Eigenschaften wie Geruch, Geschmack, Aussehen und Farbe, könnte ich mir das sehr gut auch in anderen Lebensbereichen vorstellen. Geht es doch hierbei auch darum herauszufinden, ob Hersteller und Konsumenten bei der Beurteilung eines Produktes ein weitgehend ähnliches Empfinden haben. Was die Aussage von Schlagersänger Willy Schneider um die Erkenntnis bereichert, dass es nie schaden kann, wenn man auch mal ein bisschen weiter denkt und danach fragt, wie etwas zustande kommt.

In Franken hat man das getan und auf den heißen Sommer mit adäquater Wasserberieselung reagiert. Und ist sich jetzt ziemlich sicher, dass der Jahrgang 2018 großartig wird. Und in Rheinhessen ist der Präsident des Weinbauverbands noch zuversichtlicher: „Das Jahr 2018 wird für den ganzen deutschen Weinbau als Ausnahmejahr in die Geschichte eingehen“, sagt er.

Nicht nur im Weinbau, möchte man da mit einem Seufzer hinzufügen und die Platte von Willy Schneider auflegen.

pebe