Herbst-Blues

Wenn die ersten vernebelten Tage kommen, die ersten leicht frostigen Nächte, wenn sich das Laub auf den Bäumen verfärbt und der Teint schon wieder blasser wird, für den man extra nach Mallorca und anderswohin geflogen ist, dann ist es wieder mal Zeit für den obligatorischen Herbst-Blues.

Schließlich spricht man ja auch vom Herbst des Lebens, gibt es im Herbst den Totensonntag und weitere Gedenktage, die nicht gerade für überschäumende Lebensfreude stehen. Doch nicht nur für ältere Semester bringt diese Jahreszeit trübe Gedanken mit sich, auch der Jugend steht Unbill ins Haus. Vorbei nämlich die Zeit von Open Air und Public Viewing.

Will sagen: Was man alles im Sommer so wunderbar auf dem Markt der Eitelkeiten präsentieren konnte, das muss jetzt wieder verhüllt werden. Was die zwischenmenschlichen Kontakte auch nicht gerade einfacher macht. Wer weiß, ob nicht schon alle Begeisterung verflogen ist, wenn man sich dann endlich durch Mäntel, Pullover und diverse andere Bekleidungsstücke gewühlt hat.

Und sogar für Autofahrer ist die dritte Jahreszeit zumindest in ländlichen Gebieten ein absoluter Alptraum. Denn hinter dem lustigen Begriff „Bauernglatteis“ verbirgt sich mitunter zentimeterdicker Matsch, der des deutschen Mannes liebstes Kind in Sekundenschnelle aussehen lässt, als hätte er gerade in Südschweden eine Rallye absolviert. Und das über Wochen, weil oft niemand auf die Idee kommt, den Dreck wieder zu beseitigen.

Ganz zu schweigen von dem fürchterlichen Schock natürlich, in den einen schon zu Herbstbeginn Lebkuchen, Stollen und Glühwein in den Supermarktregalen versetzen, wo man sich doch gerade so schön an spritzigen Sprizz und leckere Antipasti gewöhnt hatte.

Doch wie meine Großmutter schon immer sagte: Es ist nichts so schlecht, dass es nicht auch etwas Gutes hätte. Zugegeben, wer eine Hauswand vor dem Fenster hat, für den ist das ohne Belang. Für viele andere bringt der Herbst aber zumindest mal wieder neue An- und Einsichten. Wenn nämlich das Laub von Baum und Strauch verschwunden ist, der Blick wieder ungetrübt bis zum Fenster der Nachbarin oder sogar bis zum Horizont wandern kann.

Außerdem punktet der Herbst nicht nur mit verkaufsoffenen Wochenenden, sondern auch mit Kirtanudeln (Übersetzung für Nicht-Bayern: Kirchweihnudeln), mit flackerndem Kaminfeuer und der Aussicht auf ein Weihnachtsfest, das unbeschadet aller guten Vorsätze wieder zum Konsumrausch werden wird.

Gut, das war jetzt vielleicht nicht gerade das beste Beispiel, aber zumindest ist damit schon einmal angedeutet, was der Herbst eben auch sein sollte: Nämlich die Jahreszeit, in der sich nicht nur die Natur eine Auszeit nimmt, sondern vielleicht auch der Mensch mal einen Gang runter schalten sollte. Der Herbst sollte ganz einfach dazu dienen, sich vom flirrenden Sommer zu erholen, von all den Grillfesten und langen, lauen Sommernächten. Damit man wieder fit ist, wenn der Weihnachtsstress anfängt.

Und insofern ist so ein bisschen Herbstdepression gar nicht so schlimm. Vorausgesetzt, man verfällt ihr maximal bis zu den ersten Weihnachtsfeiern. Wäre doch jammerschade, wenn man die versäumen würde.

pebe