Hausmittel

Wirft man in diesen Zeiten einen Blick in die eine oder andere
Arztpraxis, so werden zwei Sachlagen augenfällig. Zum einen
ist es unüberhörbar
und -sehbar, dass der Herbst Einzug gehalten hat. Nämlich nicht
nur mit buntem Laub und abgeernteten Feldern, sondern auch mit
Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Und außerdem ist festzustellen,
dass offensichtlich für diese Fälle die guten alten Hausmittelchen
aus der Mode gekommen sind. Denn sonst würden wohl kaum so viele
Menschen wegen einer simplen Erkältung oder ähnlicher Zipperlein
ersten Grades zum Onkel Doktor gehen.

Dabei kann man sich noch nicht einmal darauf hinaus reden, dass mit
dem Ableben der 96-jährigen Großmutter im Frühsommer
vergangenen Jahres nicht nur die geheimen Rezepte verloren gegangen sind,
sondern auch das über Generationen hinweg überlieferte Wissen über
Hausmittel. Also welches Kraut gegen welche Beschwerden gewachsen ist.
Oder bei welcher Mondkonstellation dieses dann am besten abzuernten ist.

Als Ausrede gilt dieses tragische Ereignis nicht, denn schließlich
kann man ja wohl auch mal eine Großmutter und vielleicht sogar
einen Urgroßvater aus der Nachbarschaft fragen. Und außerdem
gibt es vor allem auf dem Land auch noch jüngere Semester, die wissen,
dass Lindenblütentee fast jeder Erkältung den Garaus macht
oder zumindest ihre Auswirkungen erträglicher gestaltet. Oder dass
Huflattich- oder Salbeiblätter als Tee zubereitet hustenstillend
wirken.

Früher wusste jede Mutter und mancher Vater, dass eiskalte Wadenwickel
und das Vorlesen von spannenden Geschichten das beste Mittel sind, um
ein Fieber für kleine Patienten erträglicher und damit die
wichtige Nachtruhe möglich werden zu lassen. Nicht verbürgt
oder sogar wissenschaftlich belegt ist hingegen, dass ein Seidenschal
gegen Halsweh hilft. Mal ganz zu schweigen davon, dass derartige Kleidungsstücke
in ländlichen Haushalten früher wie heute wohl eher die Ausnahme
sind.

Ähnliches gilt auch für die Behandlung von Warzen, die nach
alter Überlieferung mit Ringelblumensaft betupft oder mit einem
Brei aus Nussbaumastrinde bestrichen werden sollten. Schließlich
hat nicht jeder einen Nussbaum im Garten oder auf dem Balkon stehen,
und mit Ringelblumen schaut es im Herbst und Winter einfach schlecht
aus.

Um Alternativen zu finden, muss heutzutage allerdings noch nicht einmal
die Großmutter aus dem Nähkästchen plaudern. Was unsere
Altvorderen mit Kräutern und anderen Pflanzen, mit Säften und
Tinkturen sonst noch alles an Krankheiten, Wehwehchen und Beschwerden
heilen oder lindern konnten, das ist inzwischen natürlich auch in
unzähligen Büchern festgehalten. Und wenn da auch nicht unbedingt
und immer gewährleistet ist, dass alle beschriebenen Hausmittel
authentisch sind und das Buch nicht doch von einem Pharmakonzern gesponsert
wurde: Es ist oft einfach nicht von der Hand zu weisen, was die Menschheit
im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende über die Wirkungsweisen
von Pflanzen herausgefunden hat.

Allerdings gibt es einen Bereich im Zwischenmenschlichen, wo auch Hausmittelchen
wohl eher etwas fragwürdig sind. Da gilt bei Anwendungen dann besser
eines: Glaube kann Berge versetzen.

pebe