Sonnwend‘

Das Bewusstsein darüber, dass mit dem 21. Juni
die Tage wieder kürzer werden, ereilt mich in der Regel nur
kurz- doch es lässt mich selten unberührt. Obwohl wir
in der westlichen Welt uns von dem natürlichen Tageslicht unabhängiger
gemacht haben als es in der Geschichte der Menschheit jemals möglich
war, tragen wir wohl immer noch ein tiefes Gefühl dafür
in uns, was Licht und Schatten, Tag und Nacht für diese Welt
bedeutet. Licht bedeutet Leben – auch wenn wohl manchen in unserer
Spaßgesellschaft ein sonniger Tag nur noch als Anlass für
eine Schwabingrundfahrt mit dem Cabrio dient, oder das lang ersehnte
Tragen der neuesten Sommerkollektion irgendeines angesagten Designers.
Trotzdem: Licht bedeutet Leben, Leben und Wärme.

Wenn wir auch heute mit Strom längst die Nacht
zum Tag machen können, vor lauter elektrischem Licht kaum mehr
den Sternenhimmel einer klaren Sommernacht erkennen, so sehnen wir
doch jedes Jahr die Zeit herbei, wo es noch hell ist, wenn wir aus
der Arbeit kommen. Wenn wir in kurzen Hosen am Gartenzaun noch einen
kleinen Ratsch abhalten, oder mit dem Radl einen kleinen Abstecher
in einen Biergarten machen. Und kaum hat man begonnen es zu genießen,
da ist sie auch schon da, die Wende. Die Tage werden wieder kürzer,
die Vergänglichkeit bewusst.

Gleichsam in einem Aufbegehren brennen vielerorts große
Sonnwendfeuer, machen diese kurze Nacht noch kürzer- man sitzt
beisammen, schaut in die Flammen, trinkt ein bisschen was, und stellt
wieder einmal fest: Die einfachsten Dinge sind immer noch die schönsten…

In Skandinavien, wo der Unterschied größer
nicht sein kann zwischen den lichtarmen Wintern, wenn die Sonne
nur für wenige Stunden über den Horizont klettert, und
den Sommern mit scheinbar endlosen, den Nachthimmel in pastellfarbene
Gemälde verwandelnden Sonnenuntergängen, sind diese Feste
immer noch so große Ereignisse, dass viele Schweden und Norweger,
die im Ausland arbeiten, extra für die Sonnwendfeier Heimaturlaub
nehmen.

Entstanden sind diese Feiern allesamt vor langer Zeit,
als Naturreligionen noch vorherrschend waren, die Sonne je nach
Kulturkreis entweder eine weibliche oder männliche, aber stets
sehr mächtige Gottheit darstellte. Dieser Brauch ist uralt
und hat auch die Christianisierung überlebt. Die Ausübung
solcher Riten war als „heidnisch“ gegeißelt und
nicht immer ungefährlich. Heute ist es einfach eine schöne
Tradition, an einem großen Lagerfeuer zusammenzukommen. Das
übrigens finden auch die Jugendlichen noch recht „cool“,
denn sinnliche Wahrnehmungen, unmittelbar, echt und nicht virtuell
vermittelt, sind einfach unersetzbar. Oder doch nicht? Während
ich so in die prasselnden Flammen schaue, taucht da eine schreckliche
Vision auf: www.sonnwendfeier.de – Lagerfeuer mit
echtem Holzknistern und rauchiger Duftnote zum Downloaden. Mich
fröstelt – nicht grade erwärmend, dieser Gedanke …   (jh)