Kennen Sie Knigge?

Eine gewisse Enttäuschung lässt sich da nicht leugnen. Gerade weil doch viele Menschen die Frage, ob sie denn „den Knigge“ kennen, mit einem klaren Ja beantworten würden, dabei aber an Benimmregeln denken, mit denen sie in ihrem Leben schon einmal konfrontiert, manchmal auch traktiert wurden.

Dass also beispielsweise ein Herr der ihn begleitenden Dame bei Türen den Vortritt lässt, diese für sie öffnet. Nicht zu vergessen natürlich Tischmanieren, an die sich allerdings vor allem Menschen fortgeschrittenen Alters erinnern, wohingegen der Großteil der Bevölkerung inzwischen einen eher lässigeren Umgang mit Messer und Gabel pflegt.

Wer solche Regeln dem guten Freiherrn Adolf Franz Friedrich Ludwig von Knigge zuschreibt, liegt leider ziemlich falsch. Die bittere Wahrheit ist, dass jener sich mit solchen Dingen überhaupt nicht beschäftigt hat. Es ist noch nicht einmal überliefert, ob er der eigenen Tochter eine diesbezügliche Erziehung angedeihen ließ. Behauptet wird hingegen, dass er ein „in seiner eigenen Persönlichkeit“ befangener Mensch gewesen sei, wie in einer 1830 erschienenen Ausgabe der „Encyklopädie für die gebildeten Stände“ des damals in Leipzig ansässigen Brockhaus Verlages nachzulesen ist.

Dort wird natürlich auch auf das Hauptwerk Knigges „Über den Umgang mit Menschen“ eingegangen, das sich aber eben nicht mit Umgangsformen und Benimmregeln auseinandersetzt, vielmehr würde der Autor laut Encyklopädie „aus dem beschränkten Standpunkte, aus welchem er den Menschen betrachtet, … das Leben, wie der Krämer seine Ware, in einzelnen Quentchen auswägen“. Will sagen, es war eine lebensphilosophische Betrachtung in mehreren Teilen.

Nach dem Tod des Verfassers wurden allerdings in Neuauflagen gerne weitere Aspekte aufgenommen, die sich dann wirklich mit den guten Manieren im „Umgang mit den Menschen“ beschäftigten. Weshalb man nach heutigem Sprachgebrauch bei „dem Knigge“ eher von einem Label sprechen würde, wohingegen sich der Freiherr selbst wohl im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, dass mit seinem Namen nur gute Manieren verbunden werden.

Für die sah sich hingegen Erica Pappritz zuständig, die 1893 als Tochter eines Offiziers geboren wurde und während des Dritten Reichs wie auch in der BRD als Mitarbeiterin in den jeweiligen Auswärtigen Ämtern tätig war. Mit Karlheinz Graudenz verfasste sie das 1956 erschienene Werk „Buch der Etikette“. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde es als „Wälzer, den ein Snob zum hochwohllöblichen Gebrauch für Snobs verfaßte“, bezeichnet.

Denn Frau Pappritz, zeitweilig auch stellvertretende Protokollchefin unter Adenauer, widmete sich mit ihrem Co-Autor fast jedem Lebensbereich, inklusive dem sogenannten „stillen Örtchen“. Und schaffte es, mit dem Buch Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage zu werden, womöglich um diplomatischen Verwicklungen vorzubeugen. Dort war nämlich zu lesen: „Damen, die auf der Straße rauchen, sind entweder keine – oder Amerikanerinnen.“

Knigge oder Pappritz, das war also gestern. Heute gibt das Internet den mehr oder minder guten Ton an.Weshalb man sich zwar nicht die guten alten Zeiten zurück wünschen möchte. Aber dass zumindest im „Umgang mit Menschen“ bessere Manieren zum neuen Trend werden.

pebe