Der Landarzt

Auch wenn man sich einfach nicht so richtig vorstellen kann, warum das so ist: Auf Sylt soll die größte Hausarzt-Dichte gewesen sein. Während beispielsweise in gewissen Regionen Bayerns auf einen Landarzt die meisten Patienten kamen. Die Vergangenheitsform musste gewählt werden, weil sich ja schon seit längerem die große Politik der Sache angenommen hat. Es dürfte inzwischen also noch um einiges schlimmer geworden sein.

Wenn man einmal von Sylt absieht, will kaum noch eine Ärztin oder ein Arzt aufs Land. Kaum jemand will vielleicht später am Abend noch mal die Hausschuhe ausziehen und nachschauen, was bei einem etwas entfernt wohnenden Menschen der beängstigende Schmerz in der Brust bedeutet. Dabei ist es doch schon um einiges leichter geworden.

Wie zum Beispiel in der Chronik dreier Ärzte-Generationen nachzulesen ist, die der einstige Klinik-Chef in Wartenberg, Professor Hans Selmair geschrieben hat. Denn da ist nämlich unter anderem beschrieben, wie der praktische Arzt und Geburtshelfer Dr. med. Anton Selmair, der Großvater des Autors dieser Familienchronik, das Pferd anspannen ließ, um bis ins fast 15 Kilometer entfernte Vilsheim zu fahren, weil die Bäuerin auf dem Schwertfeger-Hof in Gefahr war, bei der schwierigen Geburt des „nahezu quer“ liegenden Säuglings Leben und das Kind zu verlieren. Also durchaus auch mal bei Nacht und Nebel und Schnee und Eis mit dem Pferdegespann über Land zu den Patienten fuhr.

Was ja inzwischen komfortabler wäre, dank allradbetriebener SUVs, die oft auch serienmäßig über Sitzheizung verfügen. Aber die Wege und die mitunter unübersehbaren Arbeitszeiten sind ganz offensichtlich oft nicht der einzige Grund, warum sich Ärzte häufig in Städten und dort am liebsten im Zentrum niederlassen. Wenn eine Arzt-Praxis auf dem Lande leer bleibt, weil der Hausarzt in der Gemeinde aus Altersgründen einfach nicht mehr weitermachen kann, liegt es nicht zuletzt auch an den Verdienstmöglichkeiten. Obwohl nicht wenige dieser Ärzte weit über das sonst übliche Rentenalter hinaus dem einst abgelegten Eid des Hippokrates folgen.

Findet die Praxis keinen Nachfolger, kann es für die zurückgelassenen Patienten oft ein ziemlicher Verlust sein. Denn nirgendwo bauen sich so häufig solche Vertrauensverhältnisse auf wie zwischen einem Landarzt und seinen Patienten, nicht selten über zwei Generationen. Und gleichzeitig ist das Problem mit der ärztlichen Versorgung auf dem Lande ein weiteres Beispiel dafür, dass die Lösungen trotz Globalismus und World Wide Web oft im Kleinen liegen. Zum Beispiel in einer Kommune, einer kleinen Stadt, manchmal sogar in einem Dorf. Weil Politiker dort erkennen, wie wichtig ein Arzt des Vertrauens vor Ort ist.

Weshalb dann nicht selten Baulichkeiten günstig zur Verfügung gestellt werden, angehenden Ärztinnen und Ärzten mit besonderen Vergünstigungen der Abschied von der Wunschvorstellung einer Praxis in einem reich bevölkerten, gut situierten Viertel in einer größeren Stadt erträglich gemacht werden soll. Wenn es gelingt, wird man nicht selten sehen, dass Landärzte manchmal wahre Wunderheiler sind. Weil sie nämlich viele Facetten der Medizin kennen müssen.

Und fast wichtiger noch: Weil sie die Menschen kennen, die sie behandeln.

pebe